Folge 116: Der Kurzsichtigkeits-Bias: Die größte Falle für Anleger?
In dieser Folge beleuchten wir den Kurzsichtigkeits-Bias – eine der größten Fallen für Anleger. Wir erklären, wie die Jagd nach kurzfristigen Gewinnen langfristige Strategien zerstört und geben praktische Tipps, wie Sie diese psychologische Falle überwinden können.
Zusammenfassung und Stichpunkte:
- Der Kurzsichtigkeits-Bias beschreibt die menschliche Tendenz, kurzfristige Ereignisse überzubewerten, was an der Börse zu fatalen Fehlentscheidungen führt.
- Er verleitet Anleger dazu, ständig ihre Strategie zu wechseln und 'heißen' Trends hinterherzujagen, was selten zu langfristigem Erfolg führt.
- Auch Analysten unterliegen diesem Bias, was zu übertriebenen Hypes und ungerechtfertigten Abstrafungen von Qualitätsaktien führen kann.
- Um den Bias zu überwinden, helfen klar definierte Ziele, eine gesunde Skepsis gegenüber Analysten und das Verinnerlichen einer langfristigen Perspektive.
- Nutzen Sie den Bias anderer, indem Sie Qualitätsunternehmen in temporären Krisen zu günstigen Preisen kaufen.
Shownotes und Episodendetails
Einleitung: Angst, Gier und der Marshmallow-Test für Anleger
An der Börse sind Angst und Gier mächtige Treiber, die Anleger oft zu Fehlentscheidungen verleiten. Wir beleuchten zu Beginn den berühmten Marshmallow-Test von Walter Mischel aus den 60er Jahren, ein klassisches Experiment zum Thema Belohnungsaufschub. Das Experiment zeigt, wie Kinder – stellvertretend für uns alle – oft der Versuchung einer sofortigen Belohnung (ein Marshmallow) erliegen, anstatt auf eine größere zukünftige Belohnung (zwei Marshmallows) zu warten. Diese Neigung ist der Schlüssel zum Verständnis eines weitverbreiteten Anlegerfehlers.
Der Kurzsichtigkeits-Bias: Was ist das und wie beeinflusst er uns?
Der Kurzsichtigkeits-Bias beschreibt die menschliche Tendenz, kurzfristige Freuden und Ereignisse, die heute geschehen, unterbewusst viel höher zu gewichten als Dinge, die erst in der Zukunft liegen. Obwohl wir die langfristig negativen Folgen von Verhaltensweisen wie zu viel Süßkram oder Rauchen kennen, geben wir oft der kurzfristigen Befriedigung nach. Dieser Effekt führt zu Entscheidungen, die kurzfristig angenehm sind, aber langfristig äußerst schädlich sein können – ein Phänomen, das sich auch massiv auf unsere Geldanlage auswirkt.
Drei fatale Auswirkungen des Kurzsichtigkeits-Bias an der Börse
- Die Jagd nach dem „nächsten heißen Sch…!“: Der Kurzsichtigkeits-Bias ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass Anleger ihre sorgfältig ausgearbeiteten Börsenstrategien über Bord werfen, sobald diese nicht innerhalb weniger Wochen durchschlagende Erfolge zeigen. Dies führt zu einem ständigen Hin und Her: Anleger springen auf den Zug der Tech-Aktien auf, weil diese im Vorjahr gut performten, schichten dann auf Biotech-Aktien um, wenn diese kurzfristig mehr Rendite versprechen, und wechseln schließlich zu dividendenstarken Europa-Aktien, wenn jene die höchsten Erträge erzielt hätten. Diese "Strategie" führt langfristig selten zu Gewinnen und lässt Anleger frustriert vom Aktienmarkt abwenden. Oft steigen Anleger genau dann ein, wenn über eine Anlageklasse sogar in Boulevardmedien berichtet wird – also meist zu Höchstkursen.
- "Was gestern war, wird auch morgen sein": Wenn Analysten kurzsichtig werden: Überraschenderweise unterliegen auch Finanzprofis diesem Bias. Analystenkursziele und Ergebnisschätzungen orientieren sich häufig an den jüngsten Kursbewegungen und Vergangenheitsdaten, anstatt fundierte Zukunftsprognosen abzugeben. Fallende Kurse führen zu sinkenden Kurszielen, steigende Kurse zu steigenden Zielen. So wurden beispielsweise bei Peloton steigende Gewinne aus den Lockdown-Monaten einfach in die Zukunft projiziert, ohne die Einmaleffekte zu berücksichtigen. Dies hat fatale Folgen: Verrückte, fundamental kaum begründbare Aktien-Hypes werden zusätzlich befeuert und in ungesunde Bewertungssphären getrieben, während Qualitätsaktien nach wenigen schlechten Quartalen zu Unrecht abgestraft werden.
- Extreme Marktstimmung: Von Himmelhochjauchzend zu Tode betrübt: Die Auswirkungen des Kurzsichtigkeits-Bias lassen sich besonders gut in Phasen von Markthochs und -tiefs beobachten. Innerhalb weniger Tage kann sich die Marktstimmung dramatisch ändern. In Bullenmärkten lassen sich Anleger von steigenden Kursen einlullen, ignorieren gefährliche konjunkturelle Entwicklungen oder schlechte Unternehmensergebnisse und investieren "All-in". Umgekehrt traut sich während ausgedehnter Bärenmärkte kaum jemand an den Aktienmarkt heran, da man sich eine Erholung nach anhaltenden Kursrückgängen schlichtweg nicht vorstellen kann.
Wie Sie den Kurzsichtigkeits-Bias überwinden können: Praktische Tipps
- Tipp 1: Definieren Sie klare Ziele und eine Strategie: Um zu verhindern, dass Sie ziellos an der Börse agieren, formulieren Sie präzise finanzielle Ziele wie "Rente mit 50", "Eigenheim" oder die "Ausbildung der Kinder". Leiten Sie daraus eine passende und idealerweise bereits bewährte Anlagestrategie ab. Halten Sie Ihre Ziele und Strategie schriftlich fest – dies hilft Ihnen, fokussiert zu bleiben und dem Drang nach kurzfristigen Ausschlägen zu widerstehen.
- Tipp 2: Skepsis gegenüber Analysten und die Chance nutzen: Ignorieren Sie Analystenkursziele weitgehend und betrachten Sie Ergebnisschätzungen stets mit einer gesunden Portion Skepsis. Seien Sie besonders vorsichtig bei neuen Hype-Aktien. Nutzen Sie stattdessen den Kurzsichtigkeits-Bias anderer zu Ihrem Vorteil: Kaufen Sie Aktien von Qualitätsunternehmen, die eine temporäre, aber lösbare Krise durchmachen, zu "Ausverkaufskursen" auf. Ihr zukünftiges Ich wird es Ihnen danken!
- Tipp 3: Die Macht der langfristigen Perspektive: Besonders in Zeiten von Crashs, wenn Angst die Oberhand gewinnt, können Grafiken der langfristigen Aktienkursentwicklung Wunder wirken, um rational zu bleiben. Trotz Wirtschaftskrisen, Kriegen, Inflationsdramen und Finanzkrisen ging es mit den Aktienkursen langfristig immer wieder bergauf – dies gilt auch für den europäischen Aktienmarkt. Verinnerlichen Sie diese historische Perspektive, um in Panikphasen Ruhe zu bewahren.